Von Moralaposteln und Zigeunerschnitzeln

Zum Beitrag von Bürgermeister Ullrich Sander in „Wir informieren“, Juni 24

Taufkirchen ist bunt. Eine Mischung aus Sozialwohnungen mit hohem Ausländer*Innenanteil, endlosen, leicht spießigen Reihenhaussiedlungen, teuren Wohnungen, Rüstungs- und Raumfahrtindustrie mit angehängtem, geplanten Unicampus, einem geplanten großstädtischen Quartier, und natürlich dem „alten Dorfkern“, dessen bäuerliche Grundbesitzer*Innen, dank CSU und Freier Wähler*Innen im Gemeinderat immer noch extrem überrepräsentiert sind. Ein wenig ist Taufkirchen doch in prädemokratischen Zeiten stecken geblieben, in denen politische Teilhabe an Grundbesitz gekoppelt war.

Wohin in diesem System unser aller Bürgermeister gehört, und was er unter „Mein Taufkirchen“ versteht, hat er in seinem Beitrag im neuesten „Wir informieren“ sehr deutlich gemacht. Zu Taufkirchen gehören eben nicht die um gerechte Sprache bemühten „Moralapostel“, und auch nicht die, die sich von Bezeichnungen wie „Zigeunerschnitzel“ und „Mohrenkopf“ verletzt fühlen.

Apropos „Zigeunerschnitzel„, das unserem Bürgermeister „ab und zu einmal gut geschmeckt hat„.
Als Tischlektüre zu diesem „Genuß“ empfehle ich das Buch von Hans Woller „Jagdszenen aus Niederthann. Ein Lehrstück über Rassismus“ aus dem Jahr 2022, das dem Tod einer jungen, schwangeren Mutter nachgeht, die von einem niederbayrischen Bauern auf seinem Hof erschossen wurde. Ihre ethnische Herkunft, sie war eine Romni, erlaubte ihm, dank der ständig wiederholten Erzählung von den „gefährlichen Zigeunern“ junge Frauen wie Freiwild abzuknallen, ihre Begleiterin hat schwer verletzt überlebt.

Und für all diejenigen, für die ein 200-seitiger Text zu viel ist, habe ich einen Vorschlag zur Tischmusik: Wie wäre es mit André Hellers Lied „Mein Freund Schnucknack„:

Mein Freund Schnuckenack, der Zigeuner,
Sagt: Ich mach dir eine Phantasie.
Und dann zeigt er mir sein rechtes Bein,
ganz aus Leder bis unter das Knie.
Das geschah ihm in Mauthausen,
war ein Unfall der SS, zwischen Schüssen
mußt er tanzen, und sie riefen: So ist Jazz!

Und apropos Freiwild:
Bei Tisch sollte man ein T-Shirt der berüchtigten Gruppe Frei.Wild tragen, zu kaufen bei Amazon mit dem menschenfreundlichen Aufdruck: „Ich scheiß auf Gutmenschen und Moralapostel„!

Erläuterungen für alle, die den berühmten „Schlussstrich unter unsere dunkle Vergangenheit“ schon gezogen haben, also keine Moralapostel sind:

  • Schnuckenack Reinhardt: deutscher Jazzmusiker und Sinto, der sowohl wegen seiner ethnischen Identität („Zigeuner“) als auch seiner Musik (“Zigeunerjazz“, „Negermusik“) von den Nazis verfolgt wurde
  • Mauthausen: KZ in Österreich, eines der Nazi- „Arbeitslager“ mit den höchsten Todesraten, in seinem Nebenlager Gusen mussten die Häftlinge für Willy Messerschmitt arbeiten, leiden und sterben, also für einen Mann, den Taufkirchen immer noch mit einem Straßennamen ehrt (direkt beim zukünftigen Unicampus s.o.).

Und so schließt sich der Kreis.

Gabi Zaglauer-Swoboda

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